Die DDR hatte in den Jahrzehnten ihrer Existenz einen perfiden Haltungsjournalismus hervorgebracht der den Bürgern permanent eine heile Welt des Sieges der entwickelten sozialistischen Gesellschaftsordnung präsentierte und ermahnte, dass man niemals von seinem festen Klassenstandpunkt abkommen dürfe. Es war eine Gesinnungsdiktatur und deren Vollzugsbehörde war die Stasi. Ich selbst habe diese Zeit bewusst erleben dürfen bzw. müssen und sie hat mich geprägt. Nein, ich war nicht der aktive Regimekritiker, sondern – wie die meisten anderen DDR-Bürger – „Mitschwimmer“ im System; jedoch habe ich zu Studienzeiten Dinge getan, die mich zum „Klassenfeind“ gemacht hätten, wenn ich denn erwischt worden wäre. Da war ein Amerikaner in Ost-Berlin, wo ich studierte, der mich an einem Tag im Sommer 1987 „Unter den Linden“ nach dem Weg zum Pergamon-Museum fragte. Wir kamen ins Gespräch. Ich offerierte ihm, nicht die geleckte Seite der Hauptstadt der DDR zu zeigen, sondern den „realen Sozialismus“ mit all seinen skurrilen, grauen und verstörenden Seiten. Er nahm das Angebot an diesem Tag an. So entstand eine Freundschaft. Der Briefkasten eines guten Freundes einer Wohnung im dritten Hinterhof in Prenzlauer Berg, der wegen seiner Westverwandschaft keine Probleme bekam, diente als Kontaktadresse. So hielten wir, Peter K. und ich, Kontakt und so bekam ich Bücher, die in der DDR verboten waren. Desgleichen wurden von dem Amerikaner, der in Hamburg lebte, und mit einer Deutschen verheiratet war, weitere Kontakte vermittelt, die beim Besuch der Hauptstadt der DDR von mir in die „besten“ Seiten eingewiesen wurden. Ich weiß nicht, ob es mehr Glück als Verstand war, dass ich von der Stasi unbehelligt blieb oder auch mein Geschick, die Tarnung als braver Student mit dem „festen Klassenstandpunkt“ aufrechtzuerhalten. Das Ende der „Diktatur des Proletariats“ habe ich in Ost-Berlin bewusst miterlebt. Damals bin ich zu einer der Demos gegangen und war damit einer von Millionen. Am 9. November 1989 brach ich umgehend nach dem Vernehmen der Nachricht über die Grenzöffnung, die der hervorrangende Journalist Hajo Friedrichs bei den Tagesthemen, verkündet hatte, gen Westberlin auf und erreichte das Territorium der freien Welt über die Grenzübergangsstelle „Sonnenallee“ zusammen mit meiner damaligen Freundin und einem Studienkollegen gegen 1:15 Uhr. Es war eine grandiose Nacht. In den Folgewochen fand ich mich immer wieder an Mauerabschnitten in der Nähe des Brandenburger Tores ein, schaute den Mauerpickern zu, pickte selbst und kam mit allen möglichen Menschen aus aller Herren Länder ins Gespräch. Da waren Japaner, US-Amerikaner, Italiener und viele andere Menschen aus anderen Gegenden der Welt, die sich plötzlich, die Maueröffnungen durchdringend, in der Deutschen Demokratrischen Republik einfanden und damit massenhaft „Grenzverletzungen“ begingen, ohne das noch irgendjemand geschossen hätte. Zwei Australier blieben mir besonders in Erinnerung, sie waren gerade auf einem Deutschlandtrip und nutzten dieses Ereignis der Zeitgeschichte, um einfach nur dabei zu sein. Ich, der bei dem Wort „Australien“ große Augen bekam, weil ich mir niemals hätte vorstellen können, dass Leute von so weit her kamen und nun mit mir, dem Zoni, einfach mal so über Gott und die Welt quatschten.
Mit dem Mauerfall kam die wundersame Wandlung im DDR-Staatsfernsehen (welches sogar eine eigene SED-Kreisleitung hatte), wo sich Journalisten plötzlich öffentlich Asche auf ihr Haupt streuten und Besserung gelobten, dieselben, die noch wenige Wochen zuvor bereitwillig vom Politbüro abgesegnete Nachrichten verkündeten. Der merkwürdige Kontrast geht aus den beiden nachfolgend verlinkten Videos hervor.
Die Zeit danach, die Wendezeit, war die beste und anstrengendste meines Lebens. Ich durfte noch mal studieren und zwar das von Ideologie freigehaltene Recht der Bundesrepublik dessen Kern, das Grundgesetz, die beste Verfassung der Welt verkörpert.
PS: Es ist interessant, dass heute, 31 Jahre nach der friedlichen Revolution in der DDR, die alte Klassenfeindstrategie – wenn auch subtiler in Form von Stigmatisierungen und damit mit Diskreditierungen – erneut Verwendung findet. Das Grundgesetz ist mit seinen Grundrechten ein hohes Gut. Es schickt sich nicht, dass man seine Regelungen einer Zweckdeutung unterwirft und Bürgern ihr Recht auf freie Meinungsäußerung und ihre Glaubensfreiheit abspricht, nur weil deren Meinung nicht in eine bestimmte Agenda passt. Das Gesetz selbst benennt die Grenzen der freien Meinungsäußerung und der Glaubensfreiheit und diese werden ggfls. durch Gerichte feinjustiert und nachgezogen. Das ist auch gut so. Die Väter des Grundgesetzes haben selbiges im Hinblick auf die Grundrechte bewusst mit einer Ewigkeitsgarantie versehen, um von vornherein auszuschließen, dass sich perfide Diktaturen, wie das Naziregime, wiederholen können. Es war gut und richtig, dass das Grundgesetz durch die Wiedervereinigung auch Rechtskraft in den neuen Bundesländern erhielt, um gleichermaßen gesellschaftliche Verwerfungen, wie sie durch die „Diktatur des Proletariats“ 40 Jahre in den östlichen Teilen Deutschlands eingetreten waren, zukünftig zu verhindern.
Hinweis: Alle in diesem Blog vorgenommenen Darstellungen geben meine persönliche Meinung wieder. Diese Meinungsäußerung ist vom Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland geschützt. Bei diesem Blog handelt es sich um einen rein privaten Blog.